Friday, August 3, 2012

An article in German about Kain

Flamenco in Stuttgart Cararina Mora lässt „Kain“ tanzen Petra Mostbacher-Dix, 30.07.2012 20:04 Uhr Stuttgart - Er hat eine harte Nacht hinter sich. Benommen sitzt der sonnenbebrillte Mann im cognacfarbenen Ledersessel auf der Bühne des Theaterhauses und hält sich den Kopf. Ein langer Schluck aus der Pulle, im Off klagt Miles Davis’’Trompete. Der Flamencostar Miguel Angel spielt Kain, Adam und Evas Erstgeborenen – und laut der Bibel der erste Mörder auf Erden: Der Bauer erschlug seinen Bruder Abel, den Hirten, weil Gott seine Opfergaben nicht so beachtete wie die des Bruders. Eine Frau tritt ins Licht. Ihr klarer Sopran tönt: „Aber ich kann, weil ich getötet habe, von jedem, der mich findet, getötet werden.“ Normalerweise – doch Gott brennt ihm das Kainsmal auf die Stirn, das ihn in seiner Verbannung im Land Nod wohl bloßstellen, aber auch schützen wird. Im letzten Buch des portugiesischen Literatur-Nobelpreisträgers José Samarago – betitelt „Kain“ – räumt Gott so seine Teilschuld am Mord ein. Und dieser Vorlage hat sich zur Eröffnung des dritten Stuttgarter Flamenco Festivals die Choreografin, Tänzerin und Regisseurin Catarina Mora angenommen. Die gebürtige Berlinerin mit den spanischen Wurzeln, die das Festival initiierte, ist ein Urgestein der Freien Szene in Stuttgart. Dort gründete die einstige Stipendiatin der Kunststiftung Baden-Württemberg ihre Kompanie Catarina Mora Flamenca“, dort war sie eine der vier Gründer des Produktionszentrums Tanz und Performance 1999. Flamenco nach Samaragos Roman Im Flamencotheater „Kain“ nun schickt Mora Sänger, Tänzer und Musiker in einen Dialog mit dem Allmächtigen. Stellt doch Samarago im Roman Gott zur Rede, was in seiner katholischen Heimat einen Eklat auslöste. Für ihn ist er ein nachtragender, gewalttätiger Schöpfer, der als Zeitvertreib von Vätern verlange, ihren Nachwuchs zu meucheln. Um diese Ansicht zu verdeutlichen, schickt der Dichter den Brudermörder auf eine Zeitreise durch die Jahrhunderte biblischer Geschichte. Kain ist beim Turmbau zu Babel, wird Torhüter und Liebhaber von Lilith, schmuggelt sich auf die Arche Noah, beglückt dort als Sexprotz mit unendlicher Fruchtbarkeit die Damen. Mora geht bei der Adaption der Stofffülle abstrakter vor. Jene, die das Buch nicht kennen, mögen dabei durchaus den roten Faden verlieren. Das macht nichts, der Flamenco ist Sonderklasse. Es prickelt, wenn Charo Espino in batikartigem engen Kleid auftaucht, um den im Sessel lungernden Kain den langen Stock zu Wanderschaft zu übergeben. Freilich nicht ohne zuvor den Stocktanz, wie man ihn vom Flamenco Oriental kennt, zu interpretieren. In einem roten Kleid weiß sie dann als Lilith mit aufreizend wiegenden Hüften, Körperbiegungen und sinnlichen Beinbewegungen zu reizen, die unter der hochgerafften Schleppe hervorblitzen. Dialog der Füße Die grandiosen Musiker, der Percussionist Rafael Fontaina, der Gitarrist Antonio Espandero Merino, und der Sänger Momi de Cadíz, feuern sie dabei mit Rufen wie „guapa“ (Schöne) oder „mira“ (schau hin!) an. Kain muss unterdessen seine Männlichkeit beweisen: Er steigt auf einen der beiden Quader und ergeht sich in rasanten Zapateados, also klopfenden Ferse-Spitze-Schritten, um bei der Dame Eindruck zu schinden. Mit Hilfe des Sängers erklimmt sie das andere Podest, und es beginnt ein faszinierender Dialog der Füße, Rhythmen und Körper, belohnt mit „Olés“ aus dem Publikum. Köstlich auch, wie der Percussionist Fontaina seine Mitmusikanten „trabaja!“ zum Kulissenumbau antreibt. Mora nimmt Samaragos skurrile Ironie auf, etwa indem sie die Sopranistin (Jennifer May Owusu) als sich wegen Flügelproblemen verspäteten Engel ins Rennen schickt, der Abraham davon abhalten soll, seinen Sohn Isaak zu töten. Isaak wird von Kain gerettet, der früher am Tatort ist. Dann wird es wild: Kain landet als Hard­rockstar in Sodom und Gomorra, wo alle Protagonisten mit Perücken oder Tüllröckchen verkleidet zur faschingsmarschartiger Stierkampfmusik wie Touristen im Sonnenstaat España eine Polonaise hüpfen. Die Maskerade durch die Jahrhunderte und Kains Kampf mit Gott mündet schließlich in einer klatschenden Reihe aller Beteiligten, allen voran gibt Fontaina mit zwei Stöcken den Rhythmus vor. Ein Solo Kains, in dem Miguel Angel die ganzen Register seines Könnens zieht, leitet in das fulminante Finale, das nach einem leidenschaftlichen Abend mit viel Herz ein leises Ende findet: Ein kleines Mädchen reicht Kain Evas Apfel!
In the photo: Miguel Angel and Charo Espino from the show Kain

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